Wir haben schon viel gehört von diesem neuen Zug, der da seit einigen Wochen und zurzeit noch einmal am Tag, quer durch Deutschland fährt. Jetzt haben wir die Möglichkeit genutzt, um selbst mal mitzufahren. Wir haben den LOCOMORE exklusiv für euch getestet!
Doch was ist überhaupt Locomore und was steht dahinter?
Der orangen farbene Zug, der am Bahngleis immer wieder für verwunderte Gesichter sorgt, ist das ambitonierte Projekt eines mutigen Teams, das eine Alternative zu den Fernverkehrszügen der Deutschen Bahn anbietet. Doch ganz ohne Hilfe hätte das Team rund um Geschäftsführer Derek Ladewig den Zug nicht auf die Beine bzw. auf die Gleise stellen können. Mehrere hunderte Unterstützer und Investoren hatten sich im Vorfeld bei einer Crowd-Funding-Kampagne an diesem Projekt beteiligt – mit Erfolg.
Nun steht er da, der orangene Locomore Zug – und das Zugpersonal darf sich nun dem Alltag und dem täglichen Bahn-Wahnsinns stellen. Und als jemand der selbst vor nicht all zu langer Zeit eine Ausbildung beim Global Player „Deutsche Bahn“ absolviert hat, achte ich natürlich ganz besonders auf das, was bei meiner ersten Locomore-Reise passiert.
Das Konzept des Zuges ist denkbar einfach und schnell erklärt:
Man nehme ein paar in die Jahre gekommene Inter City Wagen und lässt diese, größtenteils optisch, aufmöbeln. Ich schreibe deshalb größtenteils, da einige Wagen, wie der Wagen mit der Nummer 9, noch exakt so aussehen wie in den guten alten “Interrail Zeiten”. Und genau in diesem Wagen sitze ich. Doch auch Wagen Nummer 9 soll schon in naher Zukunft modernisiert werden, heißt es von offizieller Seite.
Wir steigen ein, in Hanau und wollen nach Berlin reisen, das ist der Plan. Draußen sind es an diesem Tag knackige minus 8°C und die Heizung im läuft auf Hochtouren, sie kämpft. In den modernisierten Wagen hingegen scheint es (beim durchgehen durch den Zug) wesentlich wärmer zu sein.
Begrüßt werde ich von einem sehr freundlich und sehr leger gekleideten Zugpersonal, was ich als durchaus angenehm empfinde. Der Zug fährt pünktlich los und sammelt dann am Bahnhof Fulda noch einige frustrierte Deutsche Bahn Kunden ein, deren Zug wohl aufgrund eines technischen Defekts außer Betrieb gesetzt wurde. Es wird also zwischenzeitlich richtig voll im Locomore. Das Personal bleibt gelassen und hat die Lage voll im Griff.
Zug-Tickets kaufen
Locomore unterscheidet die Wagenklasse zwischen Basic und Business. Nichts anderes als 2. oder 1. Klasse. Tickets können direkt über die Homepage, unkompliziert gebucht werden. Verwirrende Bedingungen wie Bahn-Sparpreise gibt es nicht. Locomore überzeugt mit einer klaren Preispolitik. Wir zahlen für eine einfache Fahrt von Hanau nach Berlin (Buchung 2 Tage vorher) z.B. nur 37 Euro INKLUSIVE Sitzplatzreservierung. Mit 4,5 Stunden ist die Reisedauer exakt wie bei der Konkurrenz und kommt sogar pünktlich in Berlin an.
Die Rückfahrt hingegen gestaltet sich wesentlich komfortabler. Wir reisen NICHT im Wagen 9, sondern im Wagen 4, im Abteil, in einem der modernisierten Wagen (siehe Foto). Hier sind die Sitze alles in allem breiter und an den Fensterplätzen befinden sich 230V Steckdosen.
Bestimmte Wagen werden mit diversen monatlich wechselnden “Mottos” auf die Reise geschickt, sagte man mir. Unser Wagen soll als Musik-Wagen unterwegs sein. Jedoch ist mir das Konzept noch nicht ganz ersichtlich. Viel interessanter:Im Abteil nebenan spielt sich ein ganz anderes Szenario ab. Zwei Reisende (ein Mann und eine Frau) führen ein angeregtes Gespräch. Sie haben sich wohl gerade erst kennengelernt und tauschen ihre Erfahrungen über den Locomore Zug aus, wechseln aber dann schnell auf weltpoltische Themen wie “Trumps Mexiko Mauer” und enden dann schließlich bei der alles entscheidenen “bist du eigentlich vergeben?”-Frage.
Ich denke mir, dass eventuell in der Zukunft mal ein “Single-Wagen” in’s Programm genommen werden sollte.
Im Wagen 5 gibt es übrigens einen Verkaufsstand. Zusätzlich macht sich alle paar Stunden das Zugpersonal mit einem Snack-Trolly durch den Zug.
Dennis (so heißt übrigen der junge Mann von nebenan), steigt in Hannover aus – und hat seine Gesprächspartnerin nichtmal nach der Handynummer gefragt. Das einzige was er im Abteil nebenan hinterlässt, ist ein gebrochenes Herz der jungen Dame.. Somit endet also eine potentielle Liebesgeschichte, noch bevor sie beginnen konnte. Es sollte wohl einfach nicht sein. Ich jedoch erreiche mein Ziel. Nämlich wenige Stunden später bin ich wieder zurück, in Hanau. Wieder pünktlich und absolut tiefenentspannt.
Fazit:
Das Preis/Leistungsverhältnis stimmt. Wer eine Option Zwischen Fernbus und ICE sucht, ist in diesem Zug sehr gut aufgehoben. Ein klein wenig Veständnis sollte man mitbringen: Denn auch mit Kinderkrankheiten müssen die Betreiber des neuen Zuges noch kämpfen. Defizite bei den Toiletten (einige waren Defekt) und die Isolierung der Fenster müssen für den täglichen Betrieb noch dringend nachgebessert werden. Aber auch mit diesen Problemen kämpft bekanntlich die Deutsche Bahn, selbst nach etlichen Jahren Betriebserfahrungen, bis heute. Dieses mutige Projekt hat jedoch eine echte Chance verdient und ist tatsächlich eine attraktive Alternative, auch für Musiker und junge kreative.
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