Tuó live in München

Tales of Life“ (Flowerstreet Records)
Es ist Zeit, auszubrechen aus der Falle Jugend. Tasmin Gutwald und Oda Tiemann starten ihre Befreiung mit einer Entführung. So sehr die Musik ihres Duos Tuó fesselt, so wenig möchte man in ihre Fänge geraten, wenn man das Video zu „Bavarian Girls“ anschaut: Zwei junge Frauen, kühle Schönheiten wie aus einem amerikanischen Roadmovie, verschleppen einen hübschen Kerl zu einer Hütte im Wald. Vernebelt hört der Geknebelte das Gangsterpärchen bei Schießübungen mit der Pistole feuern. „Whatever is their plan, run if you can“, singen die beiden unheilvoll.

Welches Bild man auch von „Bavarian Girls“ hat – und Tuó waren an dessen Verbreitung in den vergangenen drei Jahren als prominente Vertreterinnen der Gattung nicht unschuldig -, es wird durch dieses Lied zu Boden geworfen wie der Entführte. Die Forderung der Geiselnehmerinnen lautet, folgende mit Tuó (Tasmin und Oda, oder auf Chinesisch: „seltsame Mädchen“) allseits verbundene Begriffe aus dem kollektiven Sprachgebrauch zu streichen:
1. „Mädchen“, vor allem in Tateinheit mit Attributen wie „süß“, „niedlich“ oder „talentiert“: Das waren sie, als sie 2009 als Neuntklässlerinnen von 16 Jahren Tuó gründeten und zwei Monate später beim Münchner Label Flowerstreet Records unter Vertrag standen, mit der EP „Walk on Silence“ eine frühreife Pop-Sensation waren, als Vorgruppe der Sportfreunde Stiller im Münchner Circus Krone auftraten, fast den ARD-Newcomer-Wettbewerb gewannen und sogar gestandene Hauptstadt-Musikkritiker zu Tränen rührten: „In einer gerechten Welt würden Mädchen mit Blumen im Haar, die Elefanten mögen, jeden Preis gewinnen, den es überhaupt nur gibt.“
2. „Hippies“: Nur weil man im idyllischen Isartal auf dem Land bei Königsdorf und Gelting aufgewachsen ist, sich gern auf Wiesen und unter Bäumen aufhält, Pferde, Schafe und vor allem Elefanten liebt und Musik spielt, die andere als Folk bezeichnen, ist man noch lange kein Blumenkind.
3. „Barfuß“: Spätestens als dubiose Magazine für Freunde natürlichen Sohlengehens ihnen sprichwörtlich die Zehen küssten, mussten die beiden kontern: Schuhe sind auch etwas Schönes.
Wenn sich all die alten Klischees auflösen wie falsche Alibis, was bleibt dann von Tuó? Eine heiße Spur liefert „Tales of Life“. Auf ihrem ersten Album erzählen Tasmin und Oda tatsächlich Geschichten aus ihrem Leben: Wie sie erwachsen wurden, sich verändert haben und doch geblieben sind, was sie immer waren: beste Freundinnen. „Wir haben uns von einer Person zu zwei verschieden entwickelt“, sagt Oda, das sieht man schon bei unseren Ansagen im Konzert: Ich bin verträumter, chaotischer, scherze mal drauflos. Tasmin plant eher, bringt alles auf den Punkt. Wir ergänzen uns perfekt. Wie ein altes Ehepaar.“ Die andere Konstante ist die Musik, die immer schon ihre ureigene Sprache war. Wo anderen besten Freundinnen die Worte ausgehen, ergründen Tasmin und Oda ihr Seelenleben mit Liedern, die ihnen zufliegen, überall, bei jeder Gelegenheit, die auch mal spontan backstage entstehen und eine halbe Stunde später auf der Bühne begeistern. Oder während einer Sternschnuppennacht in einer Scheune: Es knackst, es blitzt, es gruselt sie, sie singen gegen die Angst an, sie kosten sie aus, verjagen die Gespenster mit einem Geisterchor: „uhuhuhuuu“. So wurden die „Bavarian Girls“ geboren – machtvoll durch Musik.
Am Handwerk hat sich erst mal nichts geändert: Tasmin kommt mit einer Idee an, singt eine Melodie vor, schlägt die Akkorde auf der Gitarre an, Oda trommelt direkt mit den Händen auf der westafrikanischen Djembe einen Beat dazu, der ungemein grooven kann, und fügt sich mit einer zweiten Stimme ein. Dieses Miteinander Harmonie zu nennen, wäre eine Untertreibung. „Es ist das totale Glück für uns, wenn wir zusammen singen“, sagt Tasmin, „selbst wenn wir mal Stress miteinander haben, lachen wir uns auf der Bühne die ganze Zeit an, und alles ist gut.“ Das steckt das Publikum an. Und nun – das ist neu – auch andere Musiker, wie man im Eröffnungsstück „Galaxy“ hört: Zunächst mal steuerte Gregor Amadeus Böhm, ihr „Band-Daddy“, Label-Chef, Produzent, Vertrauter und Entdecker, „irgendwas Geniales“ auf der Solo-Gitarre bei, sachte setzen ein Kontrabass, ein Tamburin und ein Schlagzeug ein, und so schweben sie dahin in eine andere Welt. Das ist zeitlos schöner Pop, der jedes Radioprogramm veredelt. „Paradise“ legt noch einen Gang zu, tobt sich fröhlich im Gypsy-Swing aus. Das Stück entwickelte sich spontan beim allerersten Auftritt von Tuo mit ihrer Begleitband, die sie nun in wechselnder Besetzung häufiger einsetzen wollen: Was bei den Neo-Folk-Stars Mumford & Sons so großartig funktioniert, deren Konzert im Münchner Atomic Cafe Tasmin und Oda eröffneten, kann Ihnen nur lieb sein. Ein Dutzend Musiker, selbst ihr „cooler“ alter Musiklehrer Markus Kugler von der Realschule, mischt auf „Tales of Life“ mit. Sie lassen sich gerne helfen, aber nicht verbiegen.
Sie sagen, wo es langgeht. Zusammen sind sie unbezwingbar – selbst in schwachen Momenten. Gegen Liebeskummer – ewiges Thema – hilft ihre Musik wie süße Medizin. Als Tasmin und ihr Freund sich trennten, fing sie ihn mit einem Song wieder ein: „Beautiful Love“. Auch wenn Oda sich weigerte, bei einer romantischen Rückgewinnungsaktion unter dem Fenster des Verflossenen mitzutrommeln, zu guter Letzt entfaltete der Liebeszauber auf Internet-Kanälen doch seine unwiderstehliche Wirkung. Wer das hört, ist für einen Moment wehrlos. Und lässt sich nur allzu gern gefangen nehmen von Tasmin und Oda. Überzeugen konnten sich von dieser unwiderstehliche Wirkung das Publikum im völlig überfüllten kleinen Konzertsaal im Gasteig beim Münchner Klangfest 2013 als Tuó zusammen  mit >Band-Daddy <Amadeus mit ihrer Musik begeisterten.

 

Photos: BiLut


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